Pai

Heute Morgen ziehe ich nach vier Wochen in Treckingsandalen zum ersten Mal wieder geschlossene Schuhe an. Nicht nur, weil ich Mountainbiken will, sondern auch weil es recht frisch ist. Pai liegt auf knapp 500 m, der Himmel ist komplett bewölkt, mein Wetterdienst misst am Vormittag 16°C und sagt für den 4. Adventstag maximal 22°C voraus.
Voller Vorfreude suche ich nach meinem Frühstück den Fahrradverleiher im Dorf auf. Bei ihm habe ich gestern Nachmittag ein fast neues, großes, voll funktionstüchtiges TREK Mountainbike für heute klar gemacht. 150.- Bath ruft er dafür auf (dreimal mehr als für ein China-City-Kinder-Rad), aber das ist es mir wert.
Leider wird nix aus dem Deal, denn der Verleiher besteht darauf, dass ich ihm meinen Reisepass als Pfand hinterlasse. Auf diese Bedingung kann ich mich leider nicht einlassen (meinen Reisepass gebe ich niemandem, denn ohne ihn bin ich nicht existent) und er wiederum lässt sich auf meine Angebote (Perso, Führerschein, Geld) nicht ein – und so wird heute nichts aus Mountainbiken.
Alternativ mache ich mich zu Fuß auf den Weg in einen der das Tal umgebenden Berge zu einem Wasserfall. Die Tour (17km) habe ich gestern bei Wikiloc gefunden.


Wird aber auch nicht so richtig was draus, weil ich nach rd. fünf Kilometern an meine Schuhgrenze komme: ab hier führt der Weg ständig durch den Bach. Ohne meine Trekkingsandalen komme ich nicht weiter, denn barfuß durch das Bachbett zu laufen ist mir wegen möglicher Schnittverletzungen zu gefährlich und das ständige An- und Ausziehen der Schuhe auch zu mühsam.


Also verschiebe ich die Tour auf morgen (Inshallah), drehe um und mache dann doch einen Abstecher zu den Long Neck Frauen, die mich per Werbeschild zum Kaffee zu sich ins Dorf einladen, obwohl ich – als ich auf dem Hinweg an dem Schild vorbei gekommen bin – NEIN! zu diesem Ethno-Zirkus gesagt habe.
Es ist wie es ist! 100.- Bath Eintritt, ich sehe aus den Augenwinkeln alle Schauspieler auf ihre Plätze gehen und Haltung einnehmen – dann betrete ich den Dorfplatz.
In der Mitte ein Baum mit einer einfachen Schaukel. Daneben sitzt auf einem Stuhl ein alter Mann und beschäftigt sich mit einem Kleinkind. Im Dreiviertelkreis um den Baum herum sind Verkaufsbuden aufgebaut. Zum Verkauf angeboten werden in der Hauptsache gewobene Schals aus recht grober Wolle und andere einfache Kleidungsstücke, aber auch Schmuck und Dekowaren. In jeder vier oder fünf Verkaufsstände sitzt eine Hauptakteurin in vollem Ornat, d.h. in Festtagsstammeskleidung und mit dem typischen Halsring.


Es handelt sich bei den Frauen um eine tibetisch-burmanische Minderheitenethnie, die – vom Militärregime Myanmars verfolgt – in den achziger und Anfang der neunziger Jahre nach Thailand geflüchtet sind. In ihrer Kultur bekommen schon Mädchen ab fünf Jahren Halsringe angelegt (Spiralen aus Messing), die im Laufe ihres Wachstums und Lebens immer weiter angepasst und ergänzt werden. Es entsteht bei diesem Prozess der Eindruck als würde der Hals der Frau in die Länge gestreckt (LongNeck-Frauen). Tatsächlich aber verändert sich nicht die Länge des Halses sondern durch den permanenten Druck aufs Schlüsselbein verformt sich dieses und der Brustkorb der Frau, so dass sich der Eindruck eines verlängerten Halses einstellt.

Auf meinem Rückweg vom Dorf der LongNeckFrauen wähle ich einen kleinen Pfad. Weil der viermal den begleitenden Bach schneidet, komme ich doch noch dazu, Schuhe und Socken ein paarmal aus- und wieder anziehen zu dürfen. Dabei erlebe ich die schönste Begegnung an diesem heutigen Tage: Ich grüße beim Vorbeigehen eine ältere Einheimische, die in ihrem Garten arbeitet. Sie schaut von ihrer Arbeit auf, strahlt und schickt mir einen freundlichen Redeschwall zurück. Als ich zwanzig Meter weiter mir wegen des kreuzenden Baches zum vierten Mal meine Schuhe und Socken ausziehe, steht sie auf einmal hinter mir und streckt mir kichernd eine reife Papaya entgegen. Meine Rührung und Dankbarkeit kann sie nicht übersehen – hoffentlich habe ich ihr ohne Kränkung verständlich machen können, dass ich ihr Geschenk nicht annehmen kann.

Da will ich auch durch
She made my day

Ich werde zu dem Dorf Pai noch ausführlicher schreiben. Dieses Dorf hat sich in den vergangenen vielleicht 10 Jahren zu einem Touristenmagneten im Nordwesten Thailands entwickelt und ist wahnsinnig gewachsen. Ich weiß nicht, ob alleine der Corona-Lockdown für die vielen Pleiten verantwortlich ist. Jedenfalls sieht man nicht nur in den Außenbezirken massenhaft solche Verkaufsangebote

Andererseits gibt es aber ebenso neue (Hotel- bzw. Guesthouse-)Bauaktivitäten und natürlich jede Menge Reparatur-, Verbesserungs- und Erhaltungsmaßnahmen

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